Die Hölle Nord brennt wieder: Knapper Sieg beim Derbyspiel gegen THW-Kiel
| von Philip Großkopf
Flensburg – Das Landesderby zwischen der SG Flensburg-Handewitt und dem THW Kiel wird in der Welt des Handballs oft als die Mutter aller Derbys bezeichnet. Die 113. Ausgabe, die an diesem Samstag, den 11.10., stattfindet, hält hierbei einen ganz besonderen Faktor bereit, der vielen Fans lange gefehlt hat und dieses Mal für umso mehr Spannung sorgt. Für den THW Kiel würde ein Sieg bedeuten, die seit vier Begegnungen anhaltende Niederlagenserie zu brechen und seinen Platz an der Tabellenspitze zu behaupten. Aber das wird keine leichte Aufgabe, denn der THW trifft auf eine SG, die sich in Topform befindet und in ihrer „Hölle Nord“ selten etwas anbrennen lässt. Für sie geht es darum, die Serie um einen weiteren Sieg zu ergänzen und damit die Tabellenspitze der Daikin Handball-Bundesliga zumindest für den Moment einzunehmen. Mehr kann man sich als Handballfan nicht wünschen. Faktisch allerdings hat der SC Magdeburg derzeit noch einen Minuspunkt weniger auf dem Konto. Da dieser aber ein Spiel weniger bestritten hat, platziert er sich derzeit auf dem dritten Rang.
Die ewigen Rivalen
Das Nordderby blickt auf eine jahrzehntelange Geschichte zurück, in der so ziemlich alles vorhanden war, was im Handball Rang und Namen hat. Ob Ligaspiele, DHB-Supercup und Pokalfinals oder auch das Finale der EHF Champions League, dem höchsten erreichbaren Titel im Handball – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene war alles dabei. Ihren ersten Champions-League-Titel rissen sie dem jeweils anderen aus den Händen (Kiel 2006/07, Flensburg 2013/14). Betrachtet man die Gesamtbilanz aller Spiele, liegt der THW nach wie vor deutlich vorn. Er siegte 65-mal, die SG nur 42-mal. Fünfmal ging die Partie unentschieden aus. Allerdings hat sich das Verhältnis im Laufe der letzten Jahre immer mehr ausgeglichen. Derzeit befindet sich die SG mit vier Siegen in der längsten Siegesserie seit 2005 (damals sieben Siege in Folge). Die längste Kieler Siegesserie im Zeitraum von 2008 bis 2013 hielt 14 Partien an. Ihren höchsten Sieg errang die SG bei einem Bundesligaspiel der Saison 2022/23 mit einem furiosen 36:23 in eigener Halle. Der THW konnte die SG Jahre zuvor bei einem Heimspiel in der Saison 2011/12 mit 35:21 besiegen. Das torreichste Nordderby ereignete sich am 26. Mai 2007 und endete 41:36 für die SG.
Dass sich das Nordderby zu seinem heutigen Stellenwert entwickelt hat, liegt zunächst an der örtlichen Nähe, vor allem aber daran, dass sich die Rivalen seit dem Bundesligaaufstieg der SG im Jahre 1992 zum größten Teil die Plätze 1 und 2 der Handball-Bundesliga über Jahrzehnte teilten und sich ein ewiger Zweikampf entwickelte. In 19 der letzten 27 Pokalfinals nahm mindestens eine der beiden Mannschaften teil. Sechsmal standen sich beide Kontrahenten gegenüber. Eine vergleichbare Rivalität auf diesem Niveau gibt es im deutschen Handball nicht.
Schon beim Betreten der Halle an diesem Samstag spürt man die Anspannung. Vorfreude liegt in der Luft – endlich ist wieder Derbyzeit. Wer gewinnt? Völlig offen. Aber wenn man den schon weit vor Spielbeginn laut durch die Arena hallenden Gesängen der SG-Fanclubs auf der vollbesetzten Stehtribüne glaubt, steht der Sieger bereits fest: „Derbysieger wird nur die SGW, nur die SGW, nur die SGW.“ Für ihre energischen und treuen Fans ist die SG Flensburg-Handewitt allseits bekannt. An einem Spieltag wie diesem jedoch bebt nicht nur der Fanblock, sondern die ganze Halle umso mehr. Als der THW zur Begrüßung einläuft, zeigt sich eindrucksvoll, woher die „Hölle Nord“, wie die Heimstätte der SG oft genannt wird, ihren Namen hat.
Ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert bricht los, die Spannung steigt, die Halle brennt. Auch wenn die Derbybegegnungen in der Regel sportlich und friedlich vonstatten gehen, gönnt sich hier in diesem Moment keiner mehr etwas. Beim Einlauf der SG sitzt im Publikum bereits niemand mehr. Jeder Spielername, der von Hallensprecher Holzi in die ausverkauften Ränge geworfen wird, hallt mit gewaltiger Energie zurück Richtung Spielfeld. Spätestens ab jetzt singt in der Fankurve jeder mit.
Vor Anpfiff erscheint plötzlich das Gesicht von Tønnesen auf den Bildschirmen. Die Halle wird laut. Der Norweger, der herausragend bei der SG angekommen ist, verlängert bis 2027. Nachdem Benjamin Buric dem THW den ersten Angriff durch eine Parade vereitelt, veredelt Tönnesen die frohe Botschaft gleich mal mit dem 1:0. Kurz darauf fällt das 2:0 durch Lasse Möller. Aber auch die Kieler lassen nicht lange auf sich warten. Nach 6 Minuten wirft Elias Ellefsen á Skipagøtu das 3:2 zum ersten Führungswechsel, während Tønnesen ihn am Hals hält und für die erste 2-Minuten-Zeitstrafe auf Seiten der SG sorgt. Ab hier erleben wir ein Spiel auf Augenhöhe. Über eine Viertelstunde kommen die Kieler immer wieder auf ein Tor ran, bis sie in der 22. Minute durch einen Treffer von Harald Reinkind den Ausgleich erzielen und 2 Minuten später in Führung gehen. In den Folgeminuten hat die SG Schwierigkeiten, den THW unter Kontrolle zu bekommen. Hinzu kommen ein paar starke Paraden durch Andreas Wolf. Der Spielstand zur Halbzeit: 16:19.
Zum Seitenwechsel setzt Trainer Aleš Pajović nun auf Kevin Möller im Tor, da Buric zum Ende der ersten Halbzeit wenig Erfolg hatte. Und das zeigt Wirkung. Einen 7-Meter gegen Lukas Laube pariert er. Bereits in der 36. Minute führt die SG wieder mit 22:20 durch einen Treffer von Johannes Golla. Die Halle bebt. Als Lasse Möller in der 39. Minute nach einem 7:2-Lauf zum 24:21 trifft, nimmt THW-Trainer Filip Jicha sein zweites Time-out. Der THW kommt daraufhin immer wieder auf zwei Tore ran, bekommt das Ruder dank herausragender Abwehrleistung der SG und einem starken Kevin Möller nicht mehr herumgerissen. Erst als die Kieler in der 56. Minute mit 36:30 zurückliegen, kämpfen sie sich noch einmal heran. Aber sie kommen zu spät. Schon in der 58. Spielminute beginnen die Fans der SG, den sicherglaubten Sieg zu besingen. Und so kommt es auch: Das Spiel endet mit einem 36:34. „Nie mehr Derbysieger – THW“, hallt es von den Rängen. Ob das so bleibt, wird sich im Rückspiel in Kiel zeigen, denn trotz Niederlage hat der THW ein gutes Bild abgegeben. Doch für den Moment kann sich die SG zu Recht von ihren Fans feiern lassen. Bester Werfer bei der SG mit 10 Toren wurde Lasse Möller, bei den Kielern Elias Ellefsen á Skipagøtu mit 7 Toren.